Kritik an der Theorie Ritter Schaumburgs

1981 veröffentlichte Heinz Ritter das Buch "Die Nibelungen zogen nordwärts". Hier stellt Ritter die Theorie auf, die Thidrekssaga sei keine Sagensammlung, sondern eine Chronik und als solche wörtlich zu nehmen. Sie berichte Ereignisse aus dem 6. Jahrhundert, wobei sich die Ereignisse im Raum zwischen Zülpich und Soest abgespielt hätten.
Während sich unter Laien bald eine eingeschworene Fangemeinde bildete, wurden Ritters Theorien von den Fachleuten fast durchweg abgelehnt.

Beleuchtet man Ritters Theorie und seine Argumente näher, so wird schnell deutlich, dass die Ablehnung zu Recht geschah. Ritters Theorie hält einer genaueren Betrachtung nicht stand.

Gleich zu Beginn seines Buches stellt Ritter die Behauptung auf, nur eine der beiden Fassungen, die Thidrekssaga oder das Nibelungenlied kann die ursprüngliche sein. Ritter begründet im Folgenden jedoch nicht, wie er zu dieser Behauptung kommt. Dass Nibelungenlied und Thidrekssaga, welche etwa zur gleichen Zeit entstanden, auf mündliche Überlieferungen, welche im gesamten deutschen Raum weitergegeben wurde, zurückgehen könnten, wird von Ritter gar nicht in Erwägung gezogen. Bereits hier zeigen sich die ersten gravierenden Defizite.

In der Folge trachtet Ritter danach zu beweisen, dass die Thidrekssaga nicht nur die ursprüngliche Fassung ist, sondern auch eine Chronik, die wörtlich zu nehmen ist. Ritter versucht hierbei, seine Theorie auf Biegen und Brechen, auch wenn die Widersprüche noch so groß sind, zu begründen. Dabei ignoriert Ritter einfach Tatsachen oder deutet die Dinge einfach zu seinen Zwecken um. Zwerge sind in allen anderen Werken Zwerge, nur in der Thidrekssaga nach Ritter einfach kleine Menschen. Die Wasserweiber, die Hagen trifft, sind in der Thidrekssaga halt nur einfache badende Frauen und Siegfried kämpft in allen anderen Überlieferungen gegen einen Drachen, nur in der Thidrekssaga, so behauptet Ritter, sei der Drache in Wirklichkeit ein Ritter mit Drachenhelm. Der Alb, der Hagen zeugte, sei ein keltischer Priester aus Albiniacum gewesen. Dabei lässt Ritter einfachen außen vor, dass die Kelten im 6.Jh. aus dem Gebiet längst verschwunden und keltische Priester erst recht nicht zu finden waren. Bereits hier gleitet Ritters Argumentation ins Lächerliche ab.

Ebenso biegt sich Ritter-Schaumburg die Örtlichkeiten zu Recht. Babilonia (Babylon) sei in Wirklichkeit Köln, Bern sei Bonn, Hispania (Spanien) sei der Haspengau, Rom sei Trier, Salerna (Salerno) Salvenerias, Puli (Apulien) sei Polch usw..

Als Ritter schließlich merkt, dass seine Theorie und die von ihm anvisierten Örtlichkeiten in der Geschichte keine Parallelen finden, behauptet Ritter einfach, die bereits in der Forschung gefundenen Zusammenhänge zu historischen Gestalten und Ereignissen seien unrichtig. Vielmehr seien die im Nibelungenlied bezeichneten Burgunder, mithin Gunthers Leute, in Wirklichkeit die Niflungen, wobei er diese dann unter Verweis auf den Waltharius als Rheinfranken identifiziert. Ritter leugnet einen Zusammenhang zwischen Attala und dem Hunnenkönig Attila. Vielmehr sei Attala ein König der Hunen, welche nicht mit den Hunnen im Zusammenhang stehen, gewesen und habe in Soest residiert. Auch ein Zusammenhang zwischen Dietrich von Bern und dem Ostgotenkönig Theoderich existiere nicht, vielmehr sei Dietrich ein König in Bonn gewesen.

Spätestens an diesem Punkt kann Ritters Theorie leicht widerlegt werden. Bereits der Waltharius, welcher ca. 300 Jahre älter als Thidrekssaga und Nibelungenlied ist, stellt eindeutig den Zusammenhang zwischen Attila und dem Sagenkönig Attala bzw. Etzel her. Der Waltharius spricht auch eindeutig von Pannonien und den Hunnen und nicht von Soest und einem nicht bekannten Volk der Hunen. Ritter versucht umständlich zu erklären, weshalb der in der Thidrekssaga erwähnte Blodlin, der Parallelen zu Attilas Bruder Bleda aufzeigt, angeblich ursprünglich nicht in der Handschrift gestanden hätte. Dass nun aber auch Attilas Lieblingsfrau Hreka der Sagenfigur der Erka den Namen gegeben hat, übersieht Ritter.

Des Weiteren setzt Ritter Gunthers Mannen mit den Rheinfranken gleich. Die Geschichte der Rheinfranken aus dem 6. Jh. aber ist uns bekannt. Spätestens hier wird Ritter absolut unglaubwürdig. Des Weiteren beginnen die Namen der rheinfränkischen Könige nicht mit G, dafür aber die der Burgunder.

Bereits im älteren Hildebrandslied aus dem 9. Jh. und in den Quedlinburger Annalen aus dem 10. Jh. wird Odoaker noch als Gegner Dietrich von Berns genannt. In den Quedlinburger Annalen wird sogar explizit der Zusammenhang zwischen Dietrich von Bern und Theoderich dem Ostgotenkönig erwähnt. Die Sage um Ermanerichs Tod wird uns sowohl in den Quedlinburger Annalen, als auch bereits bei Jordanis aus dem 6. Jh. berichtet. Ein Dietrich von Bonn oder Ermenrik von Trier aber sind nicht bekannt.

Dementsprechend kann Ritter natürlich auch nicht erklären, weshalb seine angeblichen Könige und Völker in keiner Geschichtschronik auch nur erwähnt werden, deren Sagen jedoch so eine weite Verbreitung gefunden haben sollen.

Am Ende bleibt von Ritters großer Theorienburg fast nur noch Schaum übrig. Ritters Forschungen leiden vor allem daran, dass Ritter nicht in der Lage war, zwischen Sage und Historie zu trennen, vor allem aber daran, dass Ritter nicht in der Lage war, von dem von ihm von Anfang an anvisierten Ziel, seine nähere Heimat in den Focus der Weltgeschichte zu rücken, auch beim Auftreten der größten Widersprüche abzurücken.

Schließlich ist jedoch noch zu fragen, weshalb Ritters Theorien teilweise noch so hartnäckig verfochten werden. Nun die Antworten gibt Ritter in seinem Buch teilweise selbst.
So berichtet Ritter, wie nach einem Vortrag ein Herr Kloeppel aufsprang und von einer historischen Stunde sprach, wobei er die Einbeziehung seiner Heimat in die angebliche Nibelungengeschichte meinte. Ein Großteil der Ritteranhänger sind wie Ritter Lokalpatrioten, welche die eigene Heimat plötzlich aufgewertet sehen, da Ritter diese als Handlungsort seiner Forschungsergebnisse erwähnt. Schon Heiko Droste hat auf deren oftmals fanatische Reaktionen hingewiesen.
Der zweite Grund wird ebenfalls in Ritters Buch genannt. So sah manch einer nach Ritters Vortrag im Geiste schon neue Nibelungenorte,-straßen,-denkmäler,-Gaststätten erstehen, neue Ziele des Fremdenverkehrs. Es sind somit auch handfeste wirtschaftliche Gründe gegeben. Den dritten Grund zeigen die zahlreichen schreibenden Nachfolger Ritters auf. Zwar beruft sich eine ganze Reihe Autoren darauf, sie würden nur die Forschungen Ritters weiterführen, in Wirklichkeit konstruierten diese Autoren jedoch zum großen Teil ihre eigenen Theorien und versuchen selbst mit den abstrusesten Theorien in Ritters Fahrwasser Leser für ihre Ausführungen zu finden.

Weitere Links:

http://www.droste-enkesen.de/Ritter.htm

http://www.heinrich-tischner.de/50-ku/sagen/nibelung/intp/ht-rsch.htm